Auszug aus der Chronik des Chor Niederbieber e.V.
(ehemals Männerchor 1847/1897 Niederbieber e.V.)
Gründungszeit
In der Mitte des 19. Jahrhunderts, einer Zeit großer politischer, wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche, wurden in Deutschland viele Männerchöre gegründet.
Die Zeit der Romantik aber auch der aufkommende Historismus nahmen kulturellen
Einfluß auf das Liedgut. Man besann sich wieder der Traditionen, dem
Nationalstolz und Bildungsbürgertum.
Die Menschen hatten die Entbehrungen napoleonischer Besatzung erlebt und
strebten kurz vor Beginn der Märzrevolution 1848 nach mehr Unabhängigkeit
und bürgerlichen Freiheiten. Im Zuge der Industriealisierung etablierten
sich einerseits erfolgreiche Gründer und Angestellte andererseits entstand
das Arbeiterproletariat.
Diese Entwicklung vollzog sich auch in Niederbieber. Neben der traditionellen
Landwirtschaft sahen viele Einwohner die Chance in kleinbürgerlichen, selbständigen
Berufsexistenzen sowohl im Handwerk als auch im Handel.
Mittelständige Industrie wie Boesner (1848), Knopffabrik Wagner (1875),
Drahtzieherei und Stiftefabrik Ludovici – später Blechwarenfabrik Aubach
(1886) – und der bereits existierende Rasselstein gaben vielen jungen Männern
aus Niederbieber Arbeit und Brot.
Es ist aus den vorhandenen Unterlagen leider nicht ersichtlich, wie es 1847
zur Gründung des Männerchors kam. Auch ist uns über das Vereinsleben oder
die Probleme, mit denen der Verein in der Anfangsphase zu kämpfen hatte,
nichts bekannt. Es fehlen schriftliche Unterlagen wie z.B. Mitgliedsverzeichnisse
oder Protokollbücher – diese sind erst später wieder vorhanden.
Überliefert ist das viele der neuen Sänger „Rasselsteiner“ waren.
Ein Zeitungsartikel der Neuwieder Zeitung vom 9. Juli 1860 berichtet, dass
sich die Niederbieberer Männer beim Andernacher Sängerfest durch „correcte
Vorträge besonders hervorthaten“ und ihnen als 2.Preis ein silberner Pokal
überreicht wurde.
Zunehmende Unstimmigkeiten im Chor, die wohl in den gesellschaftlichen und
sozialen Unterschieden der Sänger zu suchen sind, führen schließlich zum
Bruch im Verein und zur Gründung des Männergesangverein Liedertafel Niederbieber.
Bereits bei der ersten Generalversammlung am 18. Januar 1897
konnten 27 Mitglieder begrüßt werden.
Getrennte Wege bis nach dem 2. Weltkrieg
Von nun an ging jeder der beiden Männergesangvereine
in Niederbieber seinen eigenen Weg. Die Protokollbücher erzählen von einer
regen und bewegten Vereinstätigkeit. Schwerpunkt in beiden Vereinen war die
Teilnahme an Sängerwettstreiten, die Ausrichtung und der Besuch von Sängerfesten
und Konzerten. Hierbei errangen sie viele Pokale und Auszeichnungen und waren dadurch auch weit über die Heimatgrenzen hinaus bekannt.
Aber auch gesellige Veranstaltungen für die eigenen Mitglieder und deren Familien,
wie Sängerfahrten, Familienabende und Tanzbälle zu Weihnachten, wurden zur jährlichen
Tradition.
Beim Männergesangverein 1847 legte man zudem großen Wert auf die Tugenden der Mitglieder.
So wurde in den Statuten des Vereins festgelegt, dass pünktliches und regelmäßiges Erscheinen zu den Proben sowie anständiges und ehrenhaftes Benehmen von den Sängern verlangt wurde.
Die Konkurrenzsituation beider Chöre gab immer wieder mal Anlass zu Streitigkeiten.
Versuche von Vorstandsseite, beide Vereine wieder zu vereinen, schlugen mehrmals fehl.
Trotzdem unterstützte man sich gegenseitig bei der Ausrichtung von Jubiläen
oder feierte mit der Bevölkerung große Feste, wenn einer der Chöre besondere
Auszeichnungen erworben hatte.
Hatte bereits der 1. Weltkrieg viele Opfer in den Reihen beider Männerchöre
gefordert, so brachte die Zeit ab 1933 radikale Veränderungen für die Chöre mit.
Mit dem Delegiertentag und Sängertagen im alten Römerdorf Niederbieber
kommt es im Sommer 1933 nochmal zu einem Höhepunkt im Vereinsleben.
Über 1000 Besucher und Aktive feiern auf dem Festplatz – sicher noch geprägt von der Machtergreifung Hitlers einige Monate vorher.
Jetzt wird alles gleichgeschaltet – so konnten nur NSDAP-Mitglieder
Führer bzw. Vorstandsmitglied werden. Der Führer ernennt seine Vorstandsmitglieder,
Wahlen finden nicht mehr statt.
3 Sänger nicht arischer Abstammung wurden aus dem Männergesangverein 1847 ausgeschlossen.
Mit Ausbruch des 2. Weltkrieges erfolgten Auftritte nun zu Heldengedenkfeiern,
Kameradschaftsabenden der Wehrmacht oder in den Lazaretten um
die verwundeten Soldaten aufzumuntern.
Viele der errungenen Pokale wurden als „Metallspende“ für den Krieg hergegeben,
wie ein Foto aus dieser Zeit zeigt.
Nach dem Krieg verlangt die französische Besatzungsbehörde, dass in einer Gemeinde
nur noch ein Gesangverein existieren darf. Daher beschließt die Vollversammlung,
mit 60 Mitgliedern beider Chöre im Februar 1946 den Zusammenschluß
des Männergesangverein 1847 und der Liedertafel Niederbieber
zum Männerchor 1847/1897 Niederbieber.
Jakob Monschau, die treibende Kraft der Liedertafel, wird der erste Vorsitzende des neuen
Chores.
Männerchor 1847/1897
Der Zusammenschluss beider Chöre kann auch die Jugend begeistern und so
feiert man 1957 einen Sängerwettstreit in einer Dimension, die es vorher nicht
gab und auch nachher nicht mehr gegeben hat.
28 Vereine mit 1337 Sängern – im eigenen Verein waren 95 Sänger aktiv –
traten zum gesanglichen Wettstreit an und bedeuteten für den Niederbieberer
Verein eine logistische Herausforderung, die bestens erledigt wurde.
Von jetzt an wandelt sich auch die inhaltliche Richtung des Chores.
Gesangswettstreit tritt in den Hintergrund, dafür werden Chorkonzerte mit bekannten
Solisten und Solistinnen und mehrtägige Chorfahrten mit Gesangsauftritten
zum Markenzeichen des Männerchors. Waren die Männerchöre bisher schon
wichtige Akteure für die Niederbieberer Bevölkerung, so beteiligte sich der
Männerchor auch immer stärker am Vereinsleben im Dorf.
Er ist einer der Gründungsmitglieder der Inselgemeinschaft, die viele Jahre das
legendäre Inselfest ausrichteten. Bei vielen Anlässen und Festereignissen ist
der Chor als Mitwirkender gefragt.
Es folgen regelmäßige Liedvorträge in den Seniorenheimen, zur Kirmes, im
„musikalischen Biergarten, im Advent zum Singen am Backhaus oder beim
Kultursommer der Stadt Neuwied. Die Bevölkerung wurde jährlich zum
Schlachtfest oder zur musikalischen Weinprobe auf die Wiedinsel eingeladen.
Trotz des regen Vereinslebens gingen seit den 1970 Jahren die Mitgliederzahlen
zurück.
Diese Entwicklung war trotz aller Versuche neue Sänger zu werben, nicht aufzuhalten.
So konnte zumindest bis 2015 die Zahl der aktiven Sänger mit 20 Personen gehalten werden,
größere Auftritte waren aber nur mit Verstärkung befreundeter Männerchöre
wie z.B. dem MGV Leutesdorf möglich. In 2015 lag das Durchschnittsalter bei 75 Jahren.
Im Vorstand wurden 2014 erste Überlegungen angestellt wie es weitergehen soll.
Anfragen an befreundete Chöre zwecks Chorgemeinschaften hatten keinen Erfolg.
Mit viel Engagement warb der damalige Vorsitzende Kurt Grüber für das Experiment
eines gemischten Projektchors dabei musste so mancher Sänger über
den „eigenen Schatten springen“.
In einer beispiellosen Werbekampagne mit Banner im Ort, Plakaten in den Geschäften
und Flyern in jedem Briefkasten wurde auf die Gründung des Projektchors
hingewiesen. Abschluß der Werbeaktion war zusammen mit der Feuerwehr Niederbieber-Segendorf die Ausrichtung der SWR 1 „Night Fever Party“ mit 900 Besuchern in der Schulsporthalle.
Die fleißige Arbeit des Vorstands wurde belohnt.
Im April 2015 fand die erste Chorprobe als gemischter Projektchor
mit 33 Sängerinnen und Sänger im Vereinslokal Gaststätte „Central“ statt.
Im gleichen Jahr hatte der Projektchor bereits mehrere erfolgreiche
Auftritte wobei das Benefizkonzert im Bürgerhaus Torney und das Weihnachtskonzert
in Engers Sängerinnen und Sänger sowie die Besucher überzeugte.
Fast alle Mitglieder des Projektchors konnten für einen neuen, gemischten
Chor gewonnen werden.
Im Januar 2017 beschließt die Mitgliederversammlung,
dass der Männerchor 1847/1897 zukünftig Chor Niederbieber e.V. heißen
soll und ein gemischter Chor ist.
In 2017 werden 170 Jahre Chorgesang gefeiert.
Der neue Chor Niederbieber e.V.
Alte Traditionen des Männerchors wie die Weinprobe, Wanderungen und Ausflüge, gemeinsames Döppekooche-Essen oder gemütliche Runden nach der Chorprobe im Vereinslokalt sind auch im neuen Chor beliebt und werden gerne beibehalten.
Eröffnet mit der Tanzveranstaltung „Jukebox Party“ in der Sporthalle der Carmen-Sylva-Schule (600 Besucher), neuem, modernem Liedgut zum Kirmesfrühschoppen und zum Kultursommer der Stadt Neuwied, wird das Jubiläumsjahr mit einem Konzert und einer kleinen Fotoausstellung am 10.12.17 in der kath. St. Bonifatiuskirche Niederbieber beendet.
(Jubiläumskonzert in der kath. Kirche St. Bonifatius)
Es bleibt zu wünschen, dass der neue Chor Niederbieber sich musikalisch weiterentwickelt und mit neuen Sängerinnen und Sänger für die Zukunft gut aufgestellt ist.
Klaus Schweingruber
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Quellen:
Archiv Männerchor 1847/1897 e.V.
Festschrift 150 Jahre Männerchor 1847/1897 (Chronik M. Kattner )
Archiv Chor Niederbieber e.V